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Ruffato, Luiz: Ich war in Lissabon und dachte an dich

Ruffato LissabonRuffato, Luiz: Ich war in Lissabon und dachte an dich
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler
Berlin: Assoziation A, 2015. 91 S., geb., 14,00 €.
O: Estive em Lisboa e lembrei de vocêSão Paulo 2009.
978-3-86241-444-4

„Portugal würde mehr Flüchtlinge aufnehmen“ (wenn sie dem Profil der Integrationsmöglichkeiten entsprechen), diese Aussage des Ministerpräsidenten Antonio Costa war am 5.2.16 in den Zeitungen zu lesen. Eine Botschaft, die Sérgio de Sousa Sampaio aus Cataguases sicher als Einladung verstanden hätte, als er sich vor ein paar Jahren auf den Weg nach Portugal machte, um seiner hoffnungslosen Situation zu entfliehen.
Sein Pech begann, so erzählt er, als er mit dem Rauchen aufhörte. Ab da lief alles schief, seine Frau wurde manisch-depressiv, unerwartet starb seine Mutter und nachdem man ihm vorgeworfen hatte, seinen Sohn zu vernachlässigen war er so durcheinander, dass er auch noch seine Arbeit verlor. „Geh nach Portugal“ riet man ihm, das sei genau das Richtige für einen, „der sich nicht zu fein sei, die Ärmel hochzukrempeln“. Nach langem Zögern – er war noch nie aus der Enge seines Provinzstädtchen herausgekommen – verkaufte er seinen Anteil am ererbten Häuschen und sein kleines Motorrad und wurde schließlich mit großem Bahnhof von seinen Freunden und der Nachbarschaft verabschiedet.
Die ruppige und ablehnende Begrüßung in Lissabon schreckte ihn ab und so war er nach ein paar Tagen glücklich, Rodolfo kennenzulernen, der seinerseits froh war, jemanden zu treffen, „der unsere Sprache spricht“. Die unerwarteten Unterschiede in der Sprache gehörten zu den ersten irritierenden Erfahrungen von Serginho. Sein mitgebrachtes Geld ging langsam zur Neige. Zum Glück fand er endlich eine relativ gut bezahlte Anstellung in einem Lokal im Barrio Alto. Von dem Verdienst konnte er sogar etwas sparen und nach Hause schicken. Schon träumte er von einer triumphalen Rückkehr und einem erfolgreichem Start in seiner Heimatstadt. Er freundete sich mit der Brasilianerin Sheila an und obwohl ihn Rodolfo eindringlich vor der Prostituierten warnte, wurde er von ihr über den Tisch gezogen und sah die ihr geliehenen 2.000 Euro und seinen Reisepass nie wieder. Zu allem Unglück wurde er auf seiner Arbeitsstelle durch einen Ukrainer ersetzt und stand nun mittellos auf der Straße. Alle seine Träume und Hoffnungen hatten sich in Luft aufgelöst und nachdem er endlich eine Arbeitsstelle als Handlanger gefunden hatte, fing er wieder an zu rauchen ...
Ruffatos kleiner Roman beruht auf den Erzählungen eines brasilianischen Arbeitsmigranten, die er nach eigener Aussage nur leicht bearbeitet hat. Serginho berichtet selbst von seinen Erlebnissen und die Wiedergabe als mündliche Erzählung mit allen ihren Abschweifungen, Einschüben, Erinnerungen, Wünschen und Träumen des Protagonisten verleiht der eigentlich tragischen Novelle eine wunderbare Lebendigkeit mit viel Komik und Humor – ein Verdienst nicht zuletzt des sprachmächtigen Übersetzers.
Klaus Küpper, BzL

Michael Kegler wurde 1967 in Gießen geboren und hat einen Teil seiner Kindheit in Liberia und Brasilien verbracht. Er arbeitete als Buchhändler und Journalist und übersetzt seit 1992 Literatur aus dem Portugiesischen, u.a. Werke von José Eduardo Agualusa, Felipe Tadeu, João Paulo Cuenca, Michael Laub, Moacyr Scliar und Luiz Ruffato. Seit 2001 unterhält er das Internetportal nova cultura, das regelmäßig über kulturelle Ereignisse aus dem portugiesischsprachigen Raum informiert. Kegler erhielt 2014 zusammen mit Marianne Gareis den Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW. Er lebt in Hofheim/Taunus.

Der Autor:

RuffatoLuiz Ruffato wurde am 4. Februar 1961 in Cataguases, Bundesstaat Minas Gerais geboren. Er arbeitete u.a. als Verkäufer und Mechaniker und studierte in der gleichen Zeit Journalismus. 1998 veröffentlichte er einen ersten Band mit Kurzgeschichten. Drei Jahre später folgte der Roman Eles eram muitos cavalos (dt. Es waren viele Pferde, siehe Bücher zu Brasilien, S. 57f.), der die brasilianische Literatur revolutionierte, von der Kritik enthusiastisch aufgenommen und u.a. mit dem Prêmio Machado de Assis der brasilianischen Nationalbibliothek ausgezeichnet wurde. Eine Jury von Literaturkritikern der Zeitung Globo zeichnete das in mehrere Sprachen übersetzte Buch als einen der zehn besten brasilianischen Romane der letzten Dekade aus. In den Jahren zwischen 2005 und 2011 schrieb Luiz Ruffato, der seit 2003 ausschließlich als Schriftsteller arbeitet, den fünfbändigen Zyklus Inferno próvisorio (dt. Vorläufige Hölle), von dem die beiden ersten Teile inzwischen in deutscher Übersetzung vorliegen („Mama, es geht mir gut“, 2013, siehe Bücher zu Brasilien, S. 58f. und „Feindliche Welt“, 2014.)
Luiz Ruffato lebt in São Paulo.

(Foto: © Adriana Vichi)

Titel:

Sonntage ohne Gott