Zum fünfzigsten Todestag von Rosario Castellanos
Die mexikanische Lyrikerin und Romanautorin Rosario Castellanos Figueroa wurde am 25.5.1925 in Mexiko-Stadt geboren. Ihre Jugend verbrachte sie auf dem elterlichen Gut in der Nöhe von Comitán in Chiapas. Nach der Landreform von Präsident Cárdenas, der für die sozialen Belange der Landarbeiter eintrat und in dessen Folge die Familie einen Teil Ihres Landes verlor, zogen die Eltern nach Mexiko-Stadt.
Hier studierte sie Literatur und Philosophie an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) und in Spanien, schrieb Stücke für ein Puppentheater mit dem sie selber über die Dörfer zog und veröffentlichte Kolumnen in einer Tageszeitung. Von 1956-57 war sie Mitarbeiterin an indigenistischen Instituten in San Cristóbal de las Casas/Chiapas und später Hochschullehrerin für Literaturwissenschaft an der UNAM. 1971 wurde sie zur Botschafterin in Israel ernannt.
Foto: La Letras Editores
Rosario Castellanos wurde vor allem als Dichterin bekannt. „Durch ihr gesamtes lyrisches Werk … zieht sich die thematische Verknüpfung von Liebe, Zerstörung und Einsamkeit …“. (Reichardt) Eine Anzahl von übersetzten Gedichten sind in Anthologien und Zeitschriften erschienen, ebenso wie mehrere Erzählungen und Essays.
International bekannt wurde die auch für die Rechte der Frauen und die unterdrückte Landbevökerung eintretende Autorin vor allem durch ihre Romane. Drei dieser Prosatexte wurden auch ins Deutsche übersetzt und erlebten mehrere Auflagen.
1957 erschien Balún-Canán, (dt. „Die Neun Wächter“, 1962 übersetzt von Fritz Vogelgsang).
Beginn und Ende des Romans, der im Bundesstaat Chiapas spielt, sind aus der Perspektive der siebenjährigen Gutsbesitzertochter erzählt. Die Geschichte vermittelt einen Einblick in die Welt der Indios, ihre jahrhundertelange Unterdrückung und in ihr mythisches Denken. Vom Grunde auf verändern die Reformen des Präsidenten Cárdenas das Leben der Indio-Familie Argüello. Die wie Leibeigene gehaltenen Menschen sollen ihr Recht auf Land, auf öffentliche Erziehung und Lohn erhalten. Die Durchsetzung der Reformen verläuft nicht konfliktfrei. Der Schluß des Romans bezeichnet auch das Ende der Kindheit der Erzählerin in ihrer Heimat Chiapas.
Der Roman Oficio de tinieblas von 1962 erschien 1963 in deutscher Übersetzung von Petra Strien-Bourmer unter dem Titel „Das dunkle Lächeln der Catalina Díaz“. Er spielt in den Jahren zwischen 1930 und 1940. Fernando Ulloa hat die Aufgabe, mit der Neuvermessung des Landes den Indios wieder zu ihren jahrhundertealten Rechten zu verhelfen. Von den weißen Großgrundbesitzern läßt er sich nicht korrumpieren, von den Einheimischen wird er aufgrund sprachlich-kultureller Unterschiede nicht verstanden. Die zweite Protagonistin des Romans ist Catalina Díaz, eine wegen ihrer Unfruchtbarkeit geächtete India. Sie wird zur geistigen Führerin und Priesterin ihres Volkes. Schließlich bricht ein Aufstand los, der blutig unterdrückt wird: ein Sinnbild für das Scheitern der modernen mexikanischen Gesellschaft mit ihrer sogenannten institutionalisierten Revolution, ein Sinnbild aber auch für das Scheitern der Hoffnungen auf indianische Gesellschaftsformen.
1964 erschien die längere Erzählung El viudo Román, deutsch 1998 von Petra Strien unter dem Titel „Die Tugend der Frauen von Comitán“. Der Protagonist ist der verwitwete ehemalige Arzt Carlos Román, der seit dem Tod seiner Frau allein mit seiner Haushälterin in Comitán lebt. Eine (initiierte?) Begegnung bringt ihn mit dem Pater Evaristo Trejo zusammen. Mit ihm unterhält er sich über eine mögliche Wiederverheiratung und gemeinsam prüfen sie die Tugend der Frauen von Comitán. Was schließlich niemand in der Stadt für möglich gehalten hat, tritt ein: Carlos Román heiratet die verwöhnte Romelia, jüngste Tochter der Familie Orantes. Doch am Tag nach der Hochzeit bringt Carlos seine Frau in das Haus ihrer Eltern zurück. Die Erzählung, bisher locker, leicht und mit viel Ironie erzählt, erhält plötzlich dramatische Züge und hält die Leser und Leserinnen bis zum unerwarteten Ende in ihrem Bann.
Rosario Castellanos starb am 7. August 1974 bei einem häuslichen Unfall in Tel Aviv.