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Buarque, Chico: Vergossene Milch

Buarque MilchBuarque, Chico: Vergossene Milch
Roman. A. d. bras. Port. von Karin von Schweder-Schreiner
Frankfurt/M.: S. Fischer, 2013. 207 S., geb., 19,99 €.
O: Leite derramado. 2009.
978-3-10-046331-9

„Über vergossene Milch soll man nicht jammern", lautet ein bekanntes Sprichwort und darauf Bezug (der deutsche Titel ist wörtlich übersetzt) nimmt – ironisch – auch dieser amüsante Roman Buarques.
Der hundertjährige Eulálio Montenegro d'Assumpção, den die Leser in dieser Geschichte kennenlernen, jammert ununterbrochen: über die schlechte Unterbringung im Krankenhaus, über die Pflegerinnen, die ihn ohne Rücksicht auf seinen wundgescheuerten Rücken und Hintern lieblos vom Bett auf die Bahre werfen und ihn auf dem Flur stehen lassen und über das schlechte Essen, das vermutlich von den Krankenschwestern vertauscht wurde. Seinen Monolog diktiert er einer der Schwestern, der er auch noch verspricht: „wenn ich hier rauskomme, heiraten wir auf der Fazenda, dem Ort meiner glücklichen Kindheit ... Sie werden das Kleid und den Schleier meiner Mutter tragen ...". Gleichzeitig ermahnt er sie, das Manuskript auf Rechtschreibfehler untersuchen zu lassen, die sonst ihm in die Schuhe geschoben werden könnten und auf die richtige Schreibweise seines Namens zu achten: Assumpção und nicht Assumção, diese eher gewöhnliche Form, derer sich der Pferdeknecht seines Vaters ungefragt bedient hat. Und überhaupt: mein Ururgroßvater war damals mit dem portugiesischen Königshaus auf der Flucht vor den napoleonischen Truppen nach Brasilien gekommen. Mein Großvater war ein namhafter Gegner der Sklaverei, mein Vater Militärberater der Regierung und meine Ahnen väterlicherseits kann ich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. „Ich habe so viele Erinnerungen, dass ich nicht mehr weiß in welcher Gedächnisschicht ich eben war ... Es ist nicht meine Schuld, dass die Ereignisse mir manchmal in einer anderen Reihenfolge in den Sinn kommen, als sie stattgefunden haben." Und so gerät in seinem pausenlosen Lamento auch einiges durcheinander: die Reisen mit seinem Vater nach Paris, das tragisches Verschwinden seiner große Liebe Matilde, der Abriss seiner Villa in Rio de Janeiro. Wurde sein Vater beim Seitensprung erwischt und deshalb ermordet? Ist sein Enkel während Miltärdiktatur gefoltert worden und danach verschwunden?
Im Niedergang der einst berühmten Familie des alten Assumpção widerspiegeln fast 200 Jahre brasilianische Geschichte, wunderbar erzählt – ein herrlicher Schmöker.
Klaus Küpper, BzL

Der Autor:

Buarque Andrade FotoKKFrancisco Buarque de Hollanda, besser bekannt als Chico Buarque, wurde am 19. Juli 1944 in Rio de Janeiro geboren.
Er studierte Architektur und arbeitete als Komponist, Sänger, Stückeschreiber und Schauspieler.
Mit seinen außerordentlich populären sozialkritischen Liedern wurde er in seiner Heimat früh berühmt. Unter der Militärjunta war er der meistzensierte Autor Brasiliens. Bekannt wurde er hierzulande zuerst durch seinen leider vergriffenen packenden Großstadtroman „Der Gejagte" von 1994. Zuletzt erschienen in deutscher Übersetzung die Romane "Budapest" (s. Bücher zu Brasilien 2013, S. 13f.) und "Vergossene Milch".
(Tonfigur v. Zé Andrade, Foto © K. Küpper)

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