Gamerro, Carlos: Der Traum des Richters

Roman. Aus dem argentinischen Spanisch von Tobias Wildner.
Wien: Septime, 2015. 180 S., geb., SU, 19,40 €.
O: El sueño del señor juez. 2000.
978-3-902711-41-0
Don Urbano träumt viel. Seit der frühere Oberst in dem ehemaligen Militärstützpunkt Malihuel Richter geworden ist, nehmen seine Träume merkwürdige Formen an und zeigen ihre unangenehme Wirkung im realen Leben der kleinen Pampa-Siedlung. Früher waren es eher Wunschträume, Phantasien, die sich auf den Ausbau und die Erweiterung des Ortes bezogen (der dann nach ihm benannt werden würde). Und so wartete er tagtäglich auf das Eintreffen des Feldvermessers, der ihm bei Umsetzung seiner Pläne helfen sollte.
Jetzt aber steht der Viehtreiber Rosendo Villalba vor dem Richter und bestreitet vergeblich, gegen die Mauer des neuen Gerichtsgebäudes uriniert zu haben. Doch damit kommt er bei dem erbosten Urbano Pedernera nicht durch. „Hast du gedacht, ich bekomme nicht mit, was in meinen Träumen passiert, he?“ Gegen diesen unwiderlegbaren Beweis halfen keine Ausreden und so wurde der Gaucho schließlich am 3. November 1877 zur Zahlung von 100 Pesos und eine Woche Freiwilligenarbeit verdonnert. Es beginnt eine lange Serie von Träumen mit ähnlichen Folgen für scheinbare Missetäter. Die Bewohner der Siedlung setzten schließlich alle Hebel in Bewegung, um rechtzeitig über die nächtlichen Träume des Richters informiert zu werden, und zwar bevor er seine Polizisten auf den Weg zu den „Traumsündern“ geschickt hat oder wieder eine Truppe zusammenstellen lässt, um einen geträumten Indianerüberfall zu verhindern.
Zuletzt rächen sich die Bewohner von Malihuel an ihrem Friedensrichter (oder ist das wieder nur einer seiner Albträume?). Eben noch erinnert sich Don Urbano vor dem Einschlafen an seine Kindheit und das wohlige Gefühl, wenn seine Mutter die weiche Bettdecke über ihn ausbreitete als er im nächsten Augenblick erwacht und statt der Matratze eine Unterlage aus trockener Erde vorfindet. Für den Richter beginnt ein Martyrium wie von Hieronymus Bosch erfunden und als gebrochener Mann mit plötzlich weiß gewordenen Haaren erlebt er die Ankunft des langersehnten Feldvermessers ...
Gamerro hat eine wunderbare Parodie auf das bis heute verherrlichte und romantisch verklärte Leben der Gauchos geschrieben – ein heiterer Roman voll von absurden Szenen, bei denen das Lachen aber mitunter im Halse stecken bleibt.
Klaus Küpper, BzL
Tobias Wildner,geboren 1983 in Augsburg, studierte spanische und französische Philologie sowie Politikwissenschaft an den Universitäten Würzburg, Trier und Oviedo. Er lebte für längere Zeit u.a. in Spanien, Frankreich und Guatemala. Außerhalb seiner Tätigkeit als Übersetzer veröffentlichte er neben Artikeln zur zeitgenössischen argentinischen Literatur zuletzt die Monographie “Recordar escribiendo: Gedächtnis und Erinnerung bei Néstor Ponce und Eduardo Belgrano Rawson“ (2012). 2010 erschien seine Übersetzung von Néstor Ponces Roman „Der Dolmetscher“ und 2013 die Übersetzung von Carlos Gamerros Roman „Das offene Geheimnis“.
Der Autor:

Er ist Prosaautor, Drehbuchautor, Übersetzer und Professor für Literatur an der Universität in Buenos Aires.
Bisher hat er fünf Romane, die zum Teil ins Englische und Französische übertragen wurden, einen Band mit Erzählungen sowie Essays veröffentlicht. Er zählt mittlerweile zu den bedeutendsten Autoren Argentiniens.
„Das offene Geheimnis“ und "Der Traum des Richters" sind seine ersten Übersetzungen ins Deutsche.
(Foto: © Victoria Noorthoorn)
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