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Piglia, Ricardo: Munk

Piglia Munk3Piglia, Ricardo: Munk
Roman. Aus dem argentinischen Spanisch von Carsten Regling.
Berlin: Klaus Wagenbach, 2015. 252 S., geb., SU, 22,90 €.
O: El camino de Ida. Barcelona 2013.
978-3-8031-3269-7

Anfang der neunziger Jahre erhält der Literaturwissenschaftler Emilio Renzi aus Buenos Aires eine Einladung zur Gastprofessur an einer Elite-Universität in New Jersey. Er soll über den engisch-argentinischen Autor W.H. Hudson unterrichten. Eigentlich hatte er überhaupt keine Lust, „ein halbes Jahr am Ende der Welt zu vergeuden“. Doch die Professorin Ida Brown, die ihn eingeladen hatte, lässt nicht locker und so landet er mitten im bitterkalten Winter in der Nähe von New York. Auf welches Abenteuer er sich damit eingelassen hatte, sollte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Die fremde und zynische US-amerikanische Campus-Gesellschaft betrachtet er mit Ironie und Spott und nur sein vor der Umgebung geheim gehaltenes Liebesverhältnis mit Ida Brown versöhnt ihn mit der Situation.
Plötzlich ist Ida Brown tot. Verunglückt, Suizid, Mord? Die Polizei rätselt, der FBI ermittelt. Der Roman wird unvermittelt zu einem fesselnden Polit-Krimi. Über einen Detektiv erfährt Renzi von einer geheimnisvollen Mordserie, der vor allem Wissenschaftler in letzter Zeit zum Opfer gefallen sind. Gibt es einen Zusammenhang zu Idas Tod? Der FBI hat weiterhin keine Spur und beschließt, auf die aufgetauchte Forderung einzugehen und ein Manifest „Über die Zukunft der Industriegesellschaft“ zu veröffentlichen. Der Erpresser verspricht ein Ende der Mordserie (und der FBI verspricht sich von der Analyse des Textes eine Spur zu dem Serienmörder).
Das Ende des Polit-Thrillers wird hier ebensowenig verraten wie die Verbindung des ganzen Geschehens zum „Weg der Ida“ (siehe Originaltitel – „auf Spanisch war ihr Name eine Handlung ‚der Hinweg’ – la ida, die Reise ohne Wiederkehr“).
Der Roman bezieht seine Spannung nicht nur aus den rätselhaften Ereignissen um die Mordserie, der Versuch ihrer Aufklärung und die Geschichte des Mörders. Es sind vor allem die Unterhaltungen und Diskussionen um den Einfluss der Literatur, die Renzi mit seinen Studenten und mit seiner Nachbarin der 80jährigen russischen Emigrantin Nina Andropowa führt, die den Roman zu einem intellektuellen Vergnügen werden lassen. Dabei geht es nicht nur um die Werke von Hudson, sondern ebenso um inhaltlich verwandte Sujets bei Conrad, Melville, Kipling und Tolstoi, die schließlich auch in Verbindung zu den Taten des einsamen Terroristen gebracht werden. Piglia spart ferner nicht mit Seitenhieben auf die US-amerikanische Politik wenn er dauernden Attentate mit willkürlichen Morden als eine Folge von „Individualismus und Entpolitisierung“ schildert, die sich die Gesellschaft „auf ihre Fahne geschrieben hat“ und in diese inviduellen Gewaltakte stattfinden, „weil es keine Gewerkschaften oder soziale Einrichtungen mehr gibt“, an die ein Verzweifelter „sich hätte wenden können.“ Die totale Überwachung durch die Geheimdienste ist heute keine Neuigkeit mehr, ihre fast beiläufige Schilderung im Roman aber macht diese grauenvolle Gefahr noch deutlicher.
Die Leserinnen und Leser erwartet ein sehr dichter Roman mit vielen interessanten Facetten, eine kunstvoll konstruierte Geschichte, die man sich nicht einfach „reinziehen“ kann, sondern die zum mehrmaligen Lesen verführt und dennoch nicht „auszulesen“ ist, weil sich dabei immer wieder neue Bedeutungsebenen ergeben.
Klaus Küpper, BzL

Der Übersetzer Carsten Regling, geboren 1970 in Göttingen, studierte Lateinamerikanistik, Soziologie und Ethnologie in Berlin. Er ist Übersetzer aus dem Spanischen und Lektor. Er übertrug u. a. Werke von Ricardo Piglia, Manuel Vásquez Montalbán, Miguel Ángel Hernández und Roberto Ampuero. Der Autor und Lektor Carsten Regling lebt in Berlin.

Der Autor:

Ricardo Piglia wurde am 24.11.1941 in Adrogué, Provinz Buenos Aires geboren. Nach dem Studium der Geschichte wurde er Mitherausgeber und Literaturkritiker für verschiedene Zeitschriften. Von 1986 bis 1990 lebte er vorwiegend in den USA, wo er u. a. in Princeton und Harvard argentinische Literatur unterrichtete. Piglia ist Autor von Erzählungen, Romanen, Drehbüchern und Essays.
In deutscher Übersetzung erschienen bisher die Romane „Die abwesende Stadt“ (La ciudad ausente).1994, „Brennender Zaster“ (Plata quemada). 2001, „Künstliche Atmung“ (Respiración artificial). 2002, „Falscher Name“ (Nombre falso). 2003 und „Ins Weiße zielen“ (Blanco nocturno). 2010. Außerdem wurden zwei Auswahlbände mit Erzählungen „Kurzformen“ (Formas breves). 2007 und „Der Goldschmied“ (Auswahl aus: La invasión/Nombre falso). 2010 ediert sowie ein Essay-Band „Der letzte Leser“. 2010.
Ricardo Piglia ist am 6.1.2017 in Buenos Aires verstorben.

Titel:

Munk
Ins Weiße zielen
Der Goldschmied
Der letzte Leser