Alarcón, Daniel: Des Nachts gehen wir im Kreis

Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Friederike Meltendorf;
Berlin: Wagenbach, 2014. 346 S., geb., SU., 22,90 €.
O: At Night We Walk in Circles. New York 2013.
978-3-8031-3263-5
„Des Nachts gehen wir im Kreis“, berichtet Nelson dem namenlosen Erzähler dieser Geschichte, als der ihn im Colectores, einem berüchtigten Gefängnis in Lima besucht. Der Journalist hatte ihn vor einiger Zeit in seinem Heimatort T. unter merkwürdigen Umständen kennengelernt. Jetzt war Nelson wegen eines Mordes verurteilt, den er nicht begangen hatte. Nelson war Schauspieler und hatte nach dem abrupten Ende einer Tournee durch die Dörfer der Provinz, die Rolle des toten Sohnes Rogelio der Nachbarfamilie der Erzählers eingenommen. Für eine Übergangszeit wollte er damit der an Demenz leidenden Mutter helfen, die in ihm Rogelio zu erkennen glaubte.
Nelson hatte nach Abschluß seines Schauspielstudiums Henry Núñuz, den bekannten Theatermacher kennengelernt. Der war in den 80er Jahren während des Bürgerkriegs mit seiner Theatergruppe Diciembre und dem Stück „Der dumme Präsident“ durchs Land gezogen, bis er wegen angeblichem Terrorismus irgendwann verhaftet wurde und ohne Anklage im Colectores landete. Nun sollte das Stück nach 15 Jahren wiederaufgeführt werden; eine Tournee durch die Dörfer wurde geplant und Nelson wurde für die Rolle des Dieners des „dummen Präsidenten“ engagiert. Die Tournee führte auch durch den Ort T. Hier besuchte Henry die Familie von Rogelio. Während seiner Haft im Colectores hatte er Rogelio kennengelernt, der auf seine Anklage wegen Rauschgifttransport wartete. Während Henry aufgrund einer Solidatitätskampagne wieder entlassen wurde, kam Rogelio während eines Gefängnisaufstands ums Leben.
Warum es bei diesem Besuch der Familien zu einer handfester Auseinandersetzung mit Jaime und Noélia, den Geschwistern von Rogelio kam, wird hier nicht verraten.
Für den Erzähler ist das Ereignis jedenfalls Anlass, die Geschichte von Nelson aufzuschreiben, die er auf Basis von dessen Tagebucheintragungen und vieler Interviews mühsam rekonstruieren kann. Herausgekommen ist dabei ein vordergründig linear erzählte Geschichte, in die sich aber zunehmend der Erzähler einmischt und bei den Zeugen nachfragt. Aus diesem Puzzle aus Vor- und Rückblenden auf Basis des Tagebuchs und der Zeugenaussagen entsteht allmählich ein spannender Roman, der die Leserinnen und Leser bis zum Schluß fesselt. Besonderen Eindruck hinterläßt dabei vor allem die Schilderung des Gefängnisalltags im Colectores und die Erlebnisse der Theatertruppe während der anstrengenden Tournee durch die Bergdörfer.
Klaus Küpper, BzL
Friederike Meltendorf ist Literaturübersetzerin. Sie hat an der Humboldt Universiät in Berin Englisch und Russisch studiert und nach einem Jahr an der Linguistischen Universität in Moskau ihr Studium mit dem Diplom als Übersetzerin abgeschlossen. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören u. a. Natasha Radojcic, Julia Belomlinskaja und Daniel Alarcón. Für die Übersetzung des Romans Lost City Radio von Daniel Alarcón erhielt sie im Jahr 2009 – zusammen mit dem Autor – als erstes Preisträgerduo den Internationalen Literaturpreis vom Haus der Kulturen der Welt in Berlin.
Der Autor:
Daniel Alarcón wurde 1977 in Lima geboren.
Er schrieb mehrere Kurzgeschichten und ist Herausgeber einer peruanischen Literaturzeitschrift. Sein Roman Lost City Radio wurde 2009 mit dem Internationalen Literaturpreis des Haus der Kulturen der Welt in Berlin ausgezeichnet. Von ihm erschien außerdem eine ins Deutsche übersetzte Sammlung mit Erzählungen unter dem Titel "Stadt der Clowns".
Daniel Alarcón lebt heute in San Francisko und schreibt in englischer Sprache.
Titel:
Stadt der Clowns
Des Nachts gehen wir im Kreis
Lost City Radio