Carpentier, Alejo: Die Romane

Das Reich von dieser Welt (El reino de este mundo), übers. von Doris Deinhard. – Explosion in der Kathedrale (El siglo de las luces), übers. von Hermann Stiehl. – Die Methode der Macht (El recurso del método), übers. von Elke Wehr. – Die verlorenen Spuren (Los pasos perdidos) – Die Hetzjagd (El acoso) – Barockkonzert (Concierto barroco) – Le Sacre du printemps (La consagración de la primavera) – Die Harfe und der Schatten (El arpa y la sombra), übers. von Anneliese Botond.
Berlin: Suhrkamp, 2011. Suhrkamp Quarto. 1735 S., br., 35,00 €.
978-3-518-42216-8
Das Reich von dieser Welt: Der Roman ist eine Art Zeit- und Sittenspiegel der revolutionären Ereignisse auf Haiti Ende des 18. Jahrhunderts. Die Geschichte des Protagonisten Ti Noel ist dabei eng verflochten mit den Aufständen der schwarzen Rebellen, der Landung des französischen Expeditionscorps unter dem bonapartistischen General Leclerc und dem Anfang und Ende des Mulattenreichs unter dem König Henri Christophe. Afrikanisch geprägte Denk- und Lebensweise und die Ideen der französischen Aufklärung stehen sich in diesem Roman diametral entgegen.
Explosion in der Kathedrale: In diesem Roman behandelt Carpentier den Zusammenstoß der karibischen Welt mit Aufklärung und Französischer Revolution. Hier ist der Held der historische Victor Hugues, der als Händler in Haiti beginnt und dort als Führer der Aufständischen den Engländern die Insel Guadeloupe wieder entreißt. Mit der neuen, scheinbaren Freiheit für die Insel aber kommt die Guillotine, die schließlich alles gleichmachend auch die Köpfe der Armen und Sklaven rollen läßt.
Die Methode der Macht: Carpentier gelingt es, die typischen Herrschaftsstrukturen und Mechanismen der Macht und die extremen Erscheinungsformen der lateinamerikanischen Diktaturen zu durchleuchten. Ohne konkrete Anspielung auf Land und Person entdeckt er uns hinter der scheinbaren Aufgeklärtheit eines Diktators den Terror und die Gewalt als Mittel, um an der Macht zu bleiben. Carpentier bezeichnete diesen Roman als sein wichtigstes Werk.
Die verlorenen Spuren: Der Roman erzählt von der Reise eines Musikwissenschaftlers in den venezolanischen Urwald. Auf der Suche nach primitiven Musikinstrumenten durchschreitet er die Zeit, zurück zur Epoche der Conquista, den präkolumbianischen Kulturen, der Steinzeit bis zur Entstehung der Erde. Eine Reiseunterbrechung verhindert die weitere Suche – bei der Rückkehr findet die Spuren nicht mehr.
Die Hetzjagd: Ein Roman wie eine Sonate: Exposition, drei Themen, siebzehn Variationen und Schlußteil oder Coda. 46 Minuten, die Dauer von Beethovens Eroica, dauert der äußere Handlungsrahmen des Romans. Zeit, in der der Gehetzte, der sich in ein Musiktheater geflüchtet hat, sein Leben Revue passieren läßt, bevor ihn unausweichlich die Kugeln der Verfolger erreichen.
Barockkonzert: Vordergründig die literarische Rekonstruktion der Entstehung von Vivaldis Oper „Montezuma". In Wahrheit aber eine musikalische Walpurgisnacht, in der die Zeit aufgehoben ist, musikalische, geschichtliche und gesellschaftliche Schranken fallen ... (Dagmar Ploetz). Ein wahrhaft barockes Lesevergnügen!
Le Sacre du printemps: Enrique, ein kubanischer Architekt, und Vera, eine russische Tänzerin, lernen sich während des spanischen Bürgerkriegs kennen. Von dort gelangen sie nach Kuba, erleben das Terrorregime Batistas und den Sieg der Revolution. In langen Rückblenden werden die Kindheit und Jugend der beiden Protagonisten erzählt, bei Vera Rebellion und Revolution in Rußland, bei Enrique das Aufwachsen im behüteten großbürgerlichen Elternhaus. Das Ballett Stravinskys, das dem Roman den Titel gibt, nimmt einen zentralen Stellenwert ein: Veras Versuche, dieses Ballett in Kuba einzustudieren, gelingen erst nach der Revolution. Ein Roman über den politischen Bewußtwerdungsprozeß der beiden Protagonisten bis zur Parteinahme für die Revolution, angereichert mit unzähligen autobiographischen Anspielungen.
Die Harfe und der Schatten: Der Hauptteil des Romans, Columbus' „Lebensbeichte", ist eingebettet in die Einleitung und den Prozeß um die Selig- und Heiligsprechung durch Rom. Mutet uns heute dieser Versuch schon wie ein Possenspiel an, so wird dies völlig als Farce sichtbar, wenn Carpentier seinen jämmerlichen Helden entblößt. Trotz aller Rechtfertigungsversuche kommt ein gewöhnlicher Abenteurer zum Vorschein, der wie alle anderen auf der Suche nach Gold und Reichtum war und diese Absichten zynisch hinter der Missionierungsaufgabe verbarg. Am Ende aber bleibt ein betrogener Betrüger, eine schon fast tragische Gestalt, ein habgieriger und wollüstiger Herumtreiber - wahrlich kein Heiliger.
Klaus Küpper, BzL
Der Autor:

Er war Journalist, Musikwissenschaftler, Professor für Literatur in Havanna, Diplomat. Mehrere lange Auslandsaufenthalte, nach Castros Sieg Rückkehr nach Kuba.
Zusammen mit Asturias ist er der geistige Vater des „magischen Realismus", er ist eine der Schlüsselgestalten der neueren hispanoamerikanischen Literatur. Elemente seines Werkes sind psychologische Deutung, soziales Engagement, historisches Bewußtsein und Musikalität, alles vereint in dem, was er das „wunderbar Wirkliche" nennt.
Viele siner Werke sind ins Deutsche übersetzt worden und erlebten mehrere Auflagen. Die wichtigsten Titel finden sich in dem Sammelband "Die Romane".
Alejo Carpentier starb am 25.4.1980 in Paris.
(Foto: © Jerry Bauer/Suhrkamp Verlag)
Titel:
Die Romane