Lahens, Yanick: Und plötzlich tut sich der Boden auf

Haiti, 12. Januar 2010. Ein Journal.
Aus dem Französischen von Jutta Himmelreich
Zürich: rotpunktverlag, 2011. 153 S., geb., 18,50 €.
O: Failles.
978-3-85869-439-3
Am 12. Januar 2010 um 16.53 Uhr (Ortszeit), „als die Dämmerung schon auf der Suche nach ihren Farben von Ende und Anfang war", erschüttert ein schweres Erdbeben die Hauptstadt Port-au-Prince und ihre Umgebung. Spätere Schätzungen gehen von über 300.000 Todesopfern und ebenso vielen Verletzten aus. Die Zahl der von der Naturkatastrophe Betroffenen wird mit über drei Millionen Menschen angegeben – ein Drittel der Bevölkerung Haitis.
Yanick Lahens hat das Erdbeben erlebt und schildert die Tage und Wochen nach dem schrecklichen Ereignis. Ihr Bericht reicht vom umgefallenen Bücherregal in ihrer Wohnung zu den zerstörten Häusern der Nachbarschaft, von den Versuchen, über das Schicksal von Verwandten und Freunden Gewissheit zu erlangen, von den um Hilfe rufenden halb begrabenen Opfern, die sich auf das Sterben vorbereiten, mit Verwandten und den hastig errichteten Massengräbern. Yahens gelingt es mit leisen Tönen das Unfassbare der Katastrophe in Worte zu fassen.
Aber Lahens bechränkt sich nicht auf die Schilderung des Bebens, die „Verwerfungen" und die Wochen und Monate danach. Sie verbindet ihr dokumentarischen Notizen mit einer Reflektion und massiven Kritik über die Zustände in ihrem Heimatland. Sie diskutiert die historische Entwicklung Haitis im Vergleich zu den Nachbarn Kuba und der Dominikanische Republik, die Auswirkungen der unterschiedlichen Kolonialsysteme auf die heutige Entwicklung, das korrupte politische und wirtschaftliche System und die immer noch vorhandene Rassenungleichheit. Und so prüft sie auch die anlaufenden internationalen Hilfsmaßnahmen in Bezug auf die darin steckene Ambivalenz; den auch frühere Hilfslieferungen haben dazu geführt, dass die eigene Lebensmittelproduktion einen Niedergang erlebte. Und sie überlegt, ob in der Katastrophe, sinnbildlich im zerstörten Präsidentenpalast, nicht auch die Chance für einen Neuanfang steckt.
Lahens hat eine beeindruckende Chronik der schrecklichen Ereignisse und eine ungeschminkte Zustandsbeschreibung ihrer Heimat abgeliefert, ein Buch dem viele Leser zu wünschen sind.
Klaus Küpper, BzL
Die Autorin:
Yanick Lahens, geboren 1953 in Port-au-Prince, gehört zu den wichtigsten Gegenwartsautorinnen Haitis. Angeregt durch ihre Großmutter interessierte sie sich früh für die traditionelle Kultur das Landes. Sie studierte Literaturwissenschaften an der Sorbonne. Zurück in Haiti lehrte sie an der Ecole normale supérieure und setzte sich für die kreolische Sprache im Bildungswesen ein. Sie ist Mitbegründerin der Zeitschrift Chemins critiques. Zu ihren bekanntesten und ins Deutsche übersetzten Werke gehören die Romane „Tanz der Ahnen“, Morgenröte“ und der Bericht über das Erbeben 2010 unter dem Titel „Und plötzlich tut sich der Boden auf“.
(Foto: © David Ignaszewski)
Titel:
Sanfte Debakel
Tanz der Ahnen
Morgenröte
Und plötzlich tut sich der Boden auf