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Scott, Paulo: Unwirkliche Bewohner

Scott BewohnerScott, Paulo: Unwirkliche Bewohner
Roman. A. d. bras. Port. von Marianne Gareis.
Berlin: Wagenbach, 2013. 250 S., geb., 19,90 €.
O: Habitante irreal. Rio de Janeiro 2011.
978-3-8031-3250-5

Brasilien 1989. Als Paulo nur widerwillig die im Regen auf der Bundesstraße nach Porto Alegre hockende junge Indianerin Maína in seinem Auto mitnimmt, konnte er nicht ahnen, dass sich daraus eine kurze Liebesgeschichte entwickeln würde. Aus Solidarität beginnt er, freilich vergeblich, die Hütten des trostlosen Indianercamps am Rande der Straße durch stabile Fertigbauten zu ersetzen. Nach der Geburt des gemeinsamen Kindes Donato geht er, Sohn reicher Eltern und Mitglied einer trotzkistischen Organisation, nach London, wo er in der Hausbesetzerszene beinahe Karriere macht. Donato ist drei Jahre alt, als seine Mutter sich das Leben nimmt. Er wächst bei Henrique und Luísa auf, geht auf eine gute Schule, die er erfolgreich absolviert. Nach dem Tod Henriques bei einem Flugzeugabsturz übergibt ihm Luísa die Tonband- und Filmaufnahmen, die sie seinerzeit im Indianercamp von seiner Mutter gemacht hat.
Die Auseinandersetzung mit diesen Dokumenten bewirkt eine entscheidende Veränderung bei Donato: mit einer die Passanten erschreckenden Phantasie-Holzmaske stellt er sich auf öffentliche Plätze und singt in einer unverständlichen Sprache traurig klingende Lieder. Schnell wird er wegen Erregungen öffentlichen Ärgernisses angeklagt ...
Dieser faszinierende Roman hinterläßt verwirrte Leser: sind die „unwirklichen Bewohner" nur die in der brasilianischen Gesellschaft immer noch ausgegrenzten Indigenen? Oder sind nicht vielmehr der völlig haltlose Paulo und seine diversen Liebschaften, die orientierungslose Luísa, die nicht weiß, wo sie hingehört und die Mehrzahl der Protagonisten dieses Romans „unwirklich", weil sie Mitglieder einer völlig disparaten Gesellschaft sind, die ihre Identität noch nicht gefunden hat?
Paulo Scott hat mit seinem Roman als einer der ersten Autoren seines Landes die Tragödie der neben der Mehrheit der Gesellschaft lebenden und völlig marginalisierten indigenen Bevölkerung thematisiert. Ein Buch, das zugleich Anklage ist gegen die Ignoranz der Mächtigen gegenüber den Einwohnern, die weiterhin ausgegrenzt bleiben und keine Chance haben, einen ihnen gemäßen Platz in der Gesellschaft zu finden. Einer Gesellschaft, in der es immer noch Rassentrennung gibt, auch wenn die offiziell veröffentlichte Meinung das Gegenteil suggeriert.
Klaus Küpper, BzL

Der Autor:

Scott PauloPaulo Scott wurde am 8.12.1966 in Porto Alegre geboren.
Er wuchs in einem Arbeiterviertel auf, engagierte sich in der Menschenrechtsbewegung und schrieb zunächst Gedichte. Er studierte Jura und war in der Studentenbewegung politisch aktiv.
Vor dem jetzt übersetzten und mit vielen Preisen ausgezeichneten Roman Habitante irreal hat er bereits einen Roman, zwei Erzählsammlungen und vier Gedichtbände veröffentlicht. 2008 gab Scott seine Dozentenstelle an der Katholischen Universität Rio Grande do Sul auf und lebt und arbeitet seitdem in Rio de Janeiro.
(Foto: © Renato Parada)

Titel:

Unwirkliche Bewohner