Kucinski, Bernardo: K. oder Die verschwundene Tochter

Roman. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Sarita Brandt.
Berlin: Transit, 2013. 144 S., geb., 16,80 €.
O: K. São Paulo 2012.
978-3-88747-288-7
Die perfide Praxis des „Verschwindenlassens" unliebsamer Regimegegner während der Militärdiktatur in Brasilien (und Argentinien) ist, so die Einschätzung von Historikern, nicht zuletzt eine Reaktion auf die weltöffentliche Kritik an den brutalen Methoden der chilenischen Diktatur unter Pinochet gewesen.
Was diese Praxis für die Angehörigen, Freunde und Kollegen der plötzlich „Verschwundenen" bedeutete, hat Kucinski, dessen Schwester während der Diktatur in Brasilien verschwand, in einem eindrucksvollen Roman beschrieben. Er schildert einen verzweifelten Vater auf der Suche nach seiner Tochter. K., ein polnischer Jude, war 1935 auf der Flucht vor der Polizei nach Brasilien gekommen, wurde damals sofort von seinen Landsleuten vor den Spitzeln Getúlio Vargas´ gewarnt und erlebte nun erneut ein Klima der Verdächtigungen und der vorsichtigen Kommunikation zwischen Freunden und Bekannten. Die Tochter, eine Dozentin an der chemischen Fakultät der Universität in São Paulo, hatte ihn vor zehn Tagen zuletzt angerufen und war seit elf Tagen nicht mehr zur Arbeit gekommen, als K. zum ersten Mal von ihrem spurlosen Verschwinden erfuhr. Erst allmählich, im Zuge seiner Nachforschungen bei der Nachbarschaft, bei Freunden und Bekannten, bei Polizei und Kirche, wurde ihm klar, dass seine Tochter mit ihrem Mann im politischen Widerstand aktiv gewesen war, während er, so seine Selbstvorwürfe, sich mit jiddischen Schriftstellern befasste, einer „Kadaversprache ... anstatt sich um die Lebenden zu kümmern". Eigentlich hätte er aufgrund seiner eigenen Erfahrungen aus der Zeit in Polen erkennen müssen, dass seine Tochter ein gefährliches Doppelleben geführt hat. Hätte er ihr rechtzeitig helfen können? Sie warnen müssen? Zu diesen Selbstzweifeln und Vorwürfen kommt das Erlebnis seiner frustrierenden Nachforschungen, bei denen er immer wieder vertröstet wird und dennoch voller Hoffnung auf offensichtlich falsche Informationen reagiert. Erst spät wird ihm, dem inzwischen Verbitterten bewusst, dass diese Strategie systemimmanent war und nur den Zweck verfolgte, ihn zu demoralisieren.
Ein herausragender und spannend geschriebener Roman, der eine nur scheinbar lange vergangene Zeit und immer noch offenen Wunden beschreibt.
Klaus Küpper, BzL
Die Übersetzerin Sarita Brandt, geboren 1945 in Montenegro/RS, hat in Porto Alegre, São Paulo und Berlin Philosophie, Pädagogik und Portugiesisch studiert. Sie ist Konferenzdolmetscherin und literarische Übersetzerin. Sie dolmetscht für EU-Institutionen in Brüssel sowie für nationale und internationale Organisationen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur.
Zu ihren literarischen Übersetzungen zählen Werke von Autoren und Autorinnen wie Clarice Lispector, João de Jesus Paes Loureiro, Márcio Souza, Manuel Alegre, Ana Luísa Amaral, Maria Isabel Barreno, José Saramago, Paulo Teixeira, Mia Couto u. a.
Sarita Brandt war Dozentin an verschiedenen Hochschulen und Universitäten in Deutschland und Portugal. Zu ihren Wahlheimaten gehören Berlin und Cascais, Portugal.
Der Autor:
Bernardo Kucinski wurde 1937 in São Paulo als Sohn einer polnisch-jüdischen Einwandererfamilie geboren.
Er ist Journalist und war Professor für Journalimus an der Universität in São Paulo. Nach dem Militärputsch lebte Kucinski im Exil in London, kehrte aber 1974 zurück um das Schicksal seiner vom Militär verschleppten Schwester aufzuklären. Nach dem Ende der Diktatur war er lange Jahre enger Berater des Präsidenten Lula da Silva.
Er veröffentlichte zahlreiche politische und wissenschaftliche Bücher. „K. oder Die verschwundene Tochter", sein erster Roman, hat in Brasilien ein überragendes Medienecho und zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Bernardo Kucinski ist eine wichtige Stimme der Angehörigen der desaparecidos – Menschen, die in der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964 bis 1985) verschleppt wurden und seitdem als vermisst gelten. (Quelle: u.a. Verlagsinformation)
(Foto: © privat)
Titel:
K. oder Die verschwundene Tochter

Er ist Journalist und war Professor für Journalimus an der Universität in São Paulo. Nach dem Militärputsch lebte Kucinski im Exil in London, kehrte aber 1974 zurück um das Schicksal seiner vom Militär verschleppten Schwester aufzuklären. Nach dem Ende der Diktatur war er lange Jahre enger Berater des Präsidenten Lula da Silva.
Er veröffentlichte zahlreiche politische und wissenschaftliche Bücher. „K. oder Die verschwundene Tochter", sein erster Roman, hat in Brasilien ein überragendes Medienecho und zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Bernardo Kucinski ist eine wichtige Stimme der Angehörigen der desaparecidos – Menschen, die in der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964 bis 1985) verschleppt wurden und seitdem als vermisst gelten. (Quelle: u.a. Verlagsinformation)
(Foto: © privat)
Titel:
K. oder Die verschwundene Tochter