[Zentralamerika] Zwischen Süd und Nord

Neue Erzähler aus Mittelamerika. Herausgegeben von Sergio Ramírez.
Anthologie. Aus dem Spanischen von Timo Berger, Sabine Giersberg, Stephanie von Harrach, Lutz Kliche, Elisabeth Müller und Willi Zurbrüggen.
Zürich: Unionsverlag, 2014. 253 S., englbr., 19,95 €.
O: El espejo roto. Tegucigalpa/Honduras u.a. [Parallelausgabe]
978-3-293-00479-5
Die Auswahl, die Sergio Ramírez hier vorgenommen hat, beginnt mit einer Irritation: „aus Gründen sprachlicher und kultureller Nähe“ sind Texte von Autorinnen und Autoren aus der Dominikanischen Republik aufgenommen worden, „um dem deutschsprachigen Leser ein Panorama der schöpferischen Vielseitigkeit einer Region“ vorzustellen. Und Puerto Rico, wo 95% aller literarischen Zeugnisse aus dem Spanischen übersetzt in den deutschsprachigen Raum kommen, können wir dann getrost den USA überlassen (?) ist man versucht nachzufragen.
Mittelamerika also, verstanden (nur) als sogenannter kultureller Raum, daher fehlt auch das englischsprachige Belize. Mittelamerika, die Brücke zwischen den beiden Kontinenten, die so verstanden (durch die indigene (Hoch-)Kultur) allerdings auch den Süden Mexikos einschließen müsste.
Die bedeutendsten Autoren der zentralamerikanischer Region sind zweifellos Rubén Dario und Miguel Ángel Asturias. Werke jüngere Autorinnen und Autoren wie Gioconda Belli und Ernesto Cardenal erhielten ihre Popularität vor allem im Zuge der Revolution in Nicaragua. Leider viel zu wenig bekannt sind demgegenüber übersetzte Prosa-Autorinnen und Autoren wie Humberto Ak’abal und Rodrigo Rey Rosa aus Guatemala, Horacio Castellanos Moya aus El Salvador und Fernando Contreras Castro aus Costa Rica.
Die 26 hier versammelten kurzen Prosatexte bieten eine spannende Gelegenheit, eine neue Generation von Autorinnen und Autoren kennenzulernen, deren Texte die aktuellen Veränderungen in dieser vielfältigen Region widerspiegeln und die versuchen, “die verloren gegangene gemeinsame Identität wiederzufinden.” (Ramírez)
In seinem Vorwort “Der zerbrochene Spiegel” beschreibt Ramírez ausführlich die aktuelle Situation in Zentralamerika und erklärt die Brüche in den Gesellschaften, die u. a. durch Gewalt, Drogen und Revolution der jüngeren Vergangenheit entstanden sind.
In dieser Anthologie sind mehrheitlich Autorinnen und Autoren vertreten, die erstmals mit deutschen Übersetzungen vorgestellt werden: aus Guatemala Javier Payeras, aus El Salvador Vanessa Núñez Handal und Alberto Pocasangre, aus Honduras Kalton Harold Bruhl, Jessica Sánchez und Gustavo Campos, aus Nicaragua Berman Bans, Ulises Juárez Polanco und Roberto Carlos Pérez, aus Costa Rica Jessica Clark Cohen, Warren Ulloa, Guillermo Barquero und Carla Pravisani, aus Panama Melanie Taylor, Lili Mendoza und Lucy Cristina Chau.
Von Eduardo Halfon, Maurice Echeverría und Denise Phé-Funchal aus Guatemala, Mauricio Orellana Suárez aus El Salvador, María del Carmen Pérez aus Nicaragua, Carlos Oriel Wynter Melo aus Panama, Rey Andújar, Frank Báez, Juan Dicent und Rita Indiana Hernández aus der Dominikanische Republik sind bereits mehrere Prosastücke und ein Roman im deutschsprachigen Raum erschienen.
Eine wichtige Sammlung neuerer literarischer Zeugnisse aus einer geographisch zentralen, aber für die deutschsprachigen Leserinnen und Leser meist im Abseits liegenden Region. Diese Anthologie kann dazu beitragen, dass dies nicht so bleibt.
Klaus Küpper, BzL
Der Herausgeber Sergio Ramírez wurde am 5.8.1942 in Masatepe geboren. Er studierte Jura und war von 1973-1975 Stipendiat des DAAD in Berlin. Nach dem Sturz der Somoza-Diktatur war er von 1984-1990 Vizepräsident Nicaraguas. Ramírez ist Autor vieler, teilweise, preisgekrönter und u.a. auch ins Deutsche übersetzten Romane, Erzählungen und Essays.
Timo Berger, geboren 1974, ist Übersetzer zeitgenössischer lateinamerikanischer Literatur und lebt als freier Journalist und Kuratur in Berlin. Er ist Herausgeber zahlreicher Anthologien mit übersetzter lateinamerikanischer Literatur. Zu seinen Übersetzungen gehören u.a. Werke von Julian Herbert, Luis Chaves, Sergio Raimondi, Fabian Casas und Washington Cucurto. Timo Berger ist Lyriker, dessen Gedichte in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden.
Sabine Giersberg, geboren 1964 in Bonn, studierte nach dem Übersetzerdiplom Hispanistik und Lusitanistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Seit 1999 ist sie als freie Übersetzerin aus dem Spanischen und Portugiesischen tätig. Sie lebt bei Heidelberg.
Stephanie von Harrach studierte Literatur- und Medienwissenschaften in Frankfurt. Seit ist seit vielen Jahren im Verlagswesen und als Übersetzerin tätig. Sie lebt und arbeitet in Zürich.
Lutz Kliche ist Hispanist und verbrachte fünfzehn Jahre in Zentralamerika und Mexiko, wo er als Übersetzer und im Kulturbereich arbeitete. Heute lebt er als Übersetzer aus dem Spanischen und Englischen in Deutschland. Er übertrug u. a. Werke von Ernesto Cardenal, Eduardo Galeano, Gioconda Belli, Sergio Ramírez, Rodolfo Walsh und Fernando del Paso.
Elisabeth Müller wuchs in Mexiko-Stadt auf. Sie studierte Französisch und Spanisch in Paris, Bilbao und Saarbrücken. Sie ist Literaturübersetzerin und Dolmetscherin und schreibt Beiträge für verschiedene Zeitschriften. Sie lebt in der Nähe von Frankfurt, wo sie ein Übersetzungsbüro betreibt.
Willi Zurbrüggen wurde am 29.4.1949 in Borghorst/Westf. geboren. Nach einer beruflichen Tätigkeit als Bankangestellter wurde er Übersetzer aus dem Spanischen. Zu seinen Übertragungen, für die er zahlreiche Preise erhielt, gehören u. a. Werke von Antonio Muñoz Molina, Miguel Ángel Asturias, Haroldo Conti, Mempo Giardinelli, Mario Benedetti, Luis Sepúlveda, Antonio Skármeta, José Donoso und Francisco Coloane.